Zum Ableben von Michail Sergejewitsch Gorbatschow möchte ich auch noch ein paar Worte los werden. Ich habe mich mit ihm das erste Mal auseinander gesetzt im Alter von etwa 15 Jahren, als ich mich mit der Thematik Revolutionen und Utopien für eine bessere Welt beschäftigt habe.
Gorbatschow wurde da in den meisten Beiträgen die ich gelesen habe als wohlmeinender Herrscher beschrieben, der es gut mit seinen unzufriedenen Untertanen gemeint hat und dann auf Grund der eigenen zögernden Haltung letztlich gescheitert ist. Als besserer Reformer wurde dann verlässlich immer Boris Jelzin gezeigt – in Anbetracht der nach Gorbatschow in Russland herrschenden Armut eine etwas gewagte These. In einem Buch – es steht noch immer in meinem Regal – wurde Gorbatschow gar neben Ludwig XVI abgebildet, als gute Beispiele für wohlmeinende aber gescheiterte und von der Geschichte überrollte Herrscher. Das wird Gorbatschow natürlich nicht gerecht. Schon seine Grundprämisse war ja eine andere, denn er trat ja in eine Partei ein, deren Idee es war – wenn auch mittlerweile komplett entstellt und pervertiert – dass alle Menschen die gleichen Chancen auf ein glückliches Leben bekommen sollten. Ludwig XVI glaubte ja von Anfang an etwas Besseres zu sein und kümmerte sich erst um das Elend seines Volkes als dieses bereits vor seiner Tür unüberhörbar wurde, weil die Leute nicht mehr still halten wollten. Gorbatschow dagegen hat eigentlich schon früher reagiert, denn sobald er an der Macht war – eigentlich sogar schon davor – wollte er Reformen und Veränderung.
Mein zweiter Zugang zu ihm war, dass ich mit der Kommunistischen Idee sympathisiert habe und schließlich zum Kommunisten wurde. Und obwohl ich die Idee immer auch kritisch gesehen habe und die Praxis schon recht früh als gescheitert erkannt habe (ich meine so ehrlich muss man sein, dass man in keinem der „Arbeiterparadiese“ die bis lang so geschaffen wurden, wirklich leben will) hab ich mir doch eine Zeitlang von den hartgesottenen Erzkummerln einreden lassen, dass Gorbatschow eben an all der Misere schuld sei, weil er hat ja die Sowjetunion zerstört. Ich hab ihm zwar immer guten Willen zugebilligt, aber die völlig falschen Methoden. Ich habe das immer so gesehen, wenn es draußen Winter ist und drinnen ist es stickig, dass man nicht mehr atmen kann, dann sollte man ein Fenster öffnen und nicht alle Fenster einschlagen und die Türen aus den Angeln heben. Das Problem ist nur, ich hab dabei übersehen, dass die Sowjetunion bereist längst in einem Zustand war, da hat ein Fenster öffnen bedeutet, man macht es kaputt. Und das war nicht Gorbatschows Schuld. Ich denke er wollte wirklich einen Sozialismus, in dem die Menschen tatsächlich genug haben und trotzdem frei und selbstbestimmt leben können. Dass das mit der Sowjetunion nicht mehr möglich war, ist seine Tragödie, aber dass er es versucht hat, ist ihm glaube ich doch anzurechnen. Dass dabei auch Fehler passiert sind, ist glaube ich in der Situation nicht zu vermeiden gewesen. Dass ihm die Litauer 1991 nicht verzeihen können, ist ihnen nicht zu verdenken, aber für viele Menschen hat er doch Verbesserungen gebracht. Und dass es letztlich möglich ist, an der Kommunistischen Idee festzuhalten und trotzdem zu akzeptieren, was der Kapitalismus halt besser macht, das hat er gezeigt und das halte zumindest ich ihm zu Gute. Und wenn man bedenkt wie die nachfolgenden Präsidenten Russlands mit ihrem eigenen Volk oder mit ihren Nachbarländern umgehen, wünscht man sich einen Gorbatschow dringend zurück. Er hat – wenn auch leider nur kurz – die Welt ein wenig friedlicher gemacht. Er wird fehlen.