DER PARTISAN AM GRUNDLSEE

Herbert Reisenberger, den sie im gesamten Ausseerland nur den Bertl nannten, saß im auf der Veranda seines verfallenen Hofes am Grundlsee und zog an seiner eben zusammengerollten Zigarette. Der Tabak schmeckte scheußlich seit die Nazis da waren, nicht der einzige, aber wohl auch ein Grund warum er zu den Partisanen wollte.

Dabei war er ein Katholik und außerdem ein ehemaliger Funktionär der Vaterländischen Front gewesen. Warum wusste er nicht so genau, vermutlich weil der Onkel Alois auch dabei war – ihm hatte Schuschnigg einmal die Hand gegeben – und vermutlich auch weil der Pfarrer gesagt hat, das wäre so wichtig, wenn man da dabei ist.Das war der selbe Pfarrer, der nach 1938 gemeint hat: „Den Hitler hat uns der liabe Gott g’schickt.“ und der kein Wort darüber verloren hatten, als sie den vaterländischen Bezirkssekretär abholten, dem er eine Woche davor noch den himmlischen Beistand gegen alle seine Widersacher zugesagt hatte. Bertl hatte Glück, er war wohl eine zu kleine Nummer gewesen, um den neuen Machthabern eine Gefahr zu sein. Auch seinen Onkel Alois hatten sie nach einer Woche wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Ein tüchtiger deutscher Landwirt werde immer gebraucht hatten sie gesagt. Davor hatte ihn der deutsche Gestapomann aber ordentlich abgewatscht, weil er doch mit den „schwarzen Hunden, die alle von den Juden gekauft waren verbandelt war“. Und von Anfang an hatte Bertl eine Aversion gegen die neuen Machthaber. Das hatte sich noch verstärkt als dieser unerträgliche arrogante Hinkefuß namens Dr. Goebbels in der Villa Roth einzog um hier Hof zu halten. Dieses deutsche Großmaul hatte den Ausseern gerade noch gefehlt. Dieser arrogante Herrenmensch,der voller Verachtung auf die kleinen Leute herab blickte und das wahrhaft schlimme daran war, dass viele in der Bevölkerung von diesem Kerl auch noch begeistert waren und einmal im Jahr, wenn er anlässlich der Sonnenwende sich herab begab zu den Bauern und irgendetwas über „Volksgenossen, die wir doch alle sind“ schwafelte, dann glaubten sie ihm das. Bertl nie, aber das durfte man nicht laut sagen. Man wusste ja wie das enden konnte. So wie beim Onkel Alois. Irgendwann hatte er dann später im Rausch etwas zu laut gemeint, dass die Herren Piefke das Land ruinieren würden und dass unterm Schuschnigg alles besser war. Und dann hatte man den „unverbesserlichen schwarzen Miesmacher“ kurzer Hand irgendwohin nach Dachau gebracht. Genau wusste keiner, was dort geschah, aber wenn die Gerüchte über die Lager stimmten, war es dort nicht schön. Und dann war noch der Zwischenfall bei der Ranftlmühle. Bertl machte noch einen Nachtspaziergang rauchte sein Zigarettchen und sah wie fünf in dieser scheußlichen braunen SA-Uniform auf den Michel einprügelten. Vier kannte er, das waren Junge aus dem Dorf, die sich jetzt in dieser Uniform wichtig machten und einer war so ein unangenehmer Wiener, der sich hier wichtig machte, seit die Braunen hier ihr Unwesen trieben. Und der Typ war ein Raufbold und Gewalttäter das sah man ihm an.Hier als er auf  den Wehrlosen eindrosch, legte er alle Leidenschaft, die ein Mensch aufbringen kann, in jeden Fausthieb.Und die vier Jungs, Bertl kannte sie alle seit sie Kinder waren, erfreuten sich daran und schlugen und traten wo es nur ging. Bertl war mulmig zumute, dennoch schrie er: „Hallo! Was gschicht do?“ – „Seine Keil kriagt a!“ meinte der Hansl grinsend – so ein lieber Bub war er gewesen und diese Idioten aus dem Reich hatten eine Bestie aus ihm gemacht. – „Und wieso?“ Jetzt ließ der Wiener von Michel ab und sagte ganz ruhig: „Jo wöl er a Jud is.“ – „Oba des stimmt net!“ sagte Bertl tapfer. „Der geht doch jeden Sunntag in d‘ Kirchn.“ – „Sei Mutta wor a Jüdin, des reicht.“ _ „Und jetzan beschhmutzt unsre Deitschen Wöda.“ ließ sich Konrad vernehmen, Sohn des Radingerbauern. Vor 1938 war er mit dem Michel befreundet gewesen. – „Wos tuat a?“ ließ Bertl nicht locker. Doch jetzt trat der Wiener drohend einen Schritt auf ihn zu und sagte nur: „Wüßt a wos?“ Bertl wich zurück: „Nein, nein.“ Er hasste sich für seine Feigheit. – „Donn schleich di!“ Bertl schlich davon und fühlte sich elend, das also passierte in seiner schönen Heimat, so also ging man mit Menschen um, weil ihre Mutter Jüdin war… Immer wieder durchfuhr es ihn: „Des is doch koa Grund net!“ Aber für die braunen Mordbanden offenbar schon. Und da dachte Bertl: „Irgendwos muaß ma taun:“ Und wie immer ging er zum Pfarrer, der musste sich doch für den Michel einsetzen, der war doch auch ein Kind seiner Kirche. Aber hier hörte er nur, der Michel müsse sein Schicksal eben ertragen, schuld sei sein Vater gewesen, der Konradinerbauer, was hatte er sein edles Saatgut auch mit dem unheiigen Blut einer Judenbraut vermischt. Und als Bertl schüchtern sagte: „Jo ouba liebt da liabe Gott denn nicht alle seine Kinder?“ sagte der Pfarrer streng: „Gott liebt den Führer und das von ihm auserwählte Volk Die Feinde wird er einst mit derselben Härte bestrafen, wie es der Führer heute schon tut.“ Und da war dem Bertl klar, der Pfarrer war ihm keine Hilfe im Kampf gegen die Ungerechtigkeit. Und da dachte er an den Gregor, seinen Schwager. Der Gregor war der jüngere Bruder von seiner Liesl und die Familie mied ihn. Weil er sich 1931 überraschend den Sozis angeschlossen hatte. Und als dann 1934 Dollfuß die Sozialdemokratische Arbeiterpartei verbot, war er nicht etwa reuig umgekehrt, sondern war heimlich der illegalen KPÖ beigetreten. Und organisierte sich jetzt als Kommunist. Bertl mochte den Gregor und traf sich manchmal heimlich mit ihm, zumal der immer mehr Verständnis gezeigt hatte, wenn Bertl sein Unbehagen über die deutschen Machthaber äußerte. Anfangs hatte er den Gregor hauptsächlich Liesl zuliebe getroffen, die ihren Bruder nicht im Stich lassen wollte, dann aber immer mehr weil er sich mit einem Menschen austauschen wollte, dem er offen sagen konnte, dass er dem Doktor Hinkebein die Krätze an den Arsch und die Pest an den Hals wünsche. Und beim letzten Mal hatte ihm der Gregor dann vom Sepp Plieseis erzählt, der war ein oberösterreichischer Kommunist aus Bad Ischl. Er hatte in Spanien gegen die Faschisten gekämpft, war später in Frankreich interniert worden und an die Nazis ausgeliefert. Man hatte ihn ins Lager gebracht aber er war geflohen und jetzt baute er hier im Salzkammergut eine Partisaneneinheit auf. Mochten sich viel zu viele mit der braunen Bande arrangiert haben, gab es dennoch genug Arbeiter und sogar Bauern, die nicht bereit waren, sich dem Spuk widerstandslos anzubiedern. Man würde kämpfen. Und in den Bergen des Salzkammerguts gab es auch gute Möglichkeiten gegen die Wehrmachtssoldaten zu bestehen. Und Gregor hatte sich diesen Partisanen angeschlossen. Und jetzt hatte Bertl nach langem Nachdenken den Entschluss gefasst, dort ebenfalls mit zu tun. Wenn die braune Bande nicht anders aus dem Land zu kriegen war, als dass man mit Kommunisten gemeinsam zu den Waffen greift, na dann sollte es eben so sein.

Nachdenklich zog er nochmal an seiner Zigarette, sie war fast ausgegangen, aber irgendwie schaffte er es durch den Zug nochmal das Feuer zu entfachen. Der Tabak schmeckte scheußlich seit die Nazis da waren, nicht der einzige, aber wohl auch ein Grund warum er zu den Partisanen wollte. Damit warf er die Zigarette auf den Boden, trat sie aus und betrat das Haus. Ein letztes Mal, die Liesl schlief. Gregor hatte ihm eingeschärft: „Sag ihr nix. Geh einfach weg! Wenn sie nix weiß, ist es besser für sie.“ Das tat ihm leid, er wollte sie nicht auf diese Art hintergehen, aber Gregor hatte recht, wenn er ginge ohne ihr ein Wörtchen zu sagen, würde sie sich Sorgen machen, sie würde dazu aufrufen ihn zu suchen, sie wäre ehrlich verzweifelt, was wohl alle mitbekommen würden. Und dann, wenn sie irgendwann mal herausgefunden hätten, dass er ein Partisan geworden war, dann würde man ihr glauben, dass sie davon nichts wusste und sie in Ruhe lassen. Zumindest hoffte er das. Sein Blick fiel auf den Bescheid der Stellungskommission, das hatte er ja fast vergessen. Die wollten ihn jetzt beim Militär, damit er auf irgendwelche Russen oder Briten schoss. Warum? Die hatten ihm nichts getan. Der Bescheid war letzte Woche ins Haus geflattert, er sollte sich binnen der nächsten vierzehn Tage beim Stützpunkt einfinden. Das festigte noch einmal seinen klaren Entschluss. Wenn schon schießen, dann auf die braune Bande aus dem Reich und ihre österreichischen arschkriechenden Helfershelfer. Den Wiener den wollte er mal vor die Flinte bekommen, dieses arrogante bösartige Monster. Wieder sah er ihn vor sich, wie er auf den Michel eindrosch. Und eine Woche später hatte der sich aufgehängt, die Angst und die Frustration hatte über ihn gesiegt. Und alles was der Wiener dazu sagte: „A Saujud weniger.“ und die SA-Buben gröhlten dazu. Und das restliche Dorf? Applaudierte nicht direkt, aber Zeichen des Abscheus sah man keine. Nur ein paar kluge Äußerungen, wie: „Na jau, wann er a Jud woar, wiad a scho, wos aungstöt haum!“ Bertl schüttelte sich bei der Erinnerung. Und angeblich hatte das hinkende Großmaul den Wiener auch schon mal zu sich eingeladen, eine Flasche Wein auf die erfolgreiche Vertilgung des jüdischen Ungeistes in Grundlsee zu trinken. Bertl nahm nun die alte Flinte von der Wand und dachte darüber nach, wen er lieber abknallen würde, wie einen räudigen Hund, den Wiener oder gleich Dr. Großmaul. Einmal sah er noch wehmütig zur schlafenden Liesl und dann eilte er in die Nacht, hinten zum Toplitzsee wo Gregor ihn erwarten sollte.

Mit seiner Flinte bewaffnet schlich er also durch den Wald, vorbei an der Ranftlmühle, die er nocheinmal wehmütig betrachtete. Es war so ein schöner Platz, wo er immer wieder her kam, wenn er gerade die Zeit fand und bis sie den Michel dort zusammengeschlagen hatten, denn danach hatten sie ihm die Freude an diesem Ort genommen. Ihm wurde wieder schlecht als er daran dachte und so konnte er sich nicht des lauten Rauschens des Wasserfalls erfreuen, der ihn früher immer so erfreut hatte. Unwillkürlich packte er die Flinte fester. Was immer er tun konnte, um diese Mordbuben aufzuhalten, würde er tun. Dann ging er weiter und durch den Wald. Ein unbehagliches Gefühl befiehl ihn, als würde ihm jemand folgen, aber er tat es ab, als die in der Zeit übliche Paranoia, jeder misstrauten jedem. Endlich kam er beim Toplitzsee an, der in aller Stille vor ihm lag. Eine Zeitlang betrachtete er den See, der in der Nacht so merkwürdig schwarz wirkte. Die Stille war unheimlich. Ob er sich noch eine Zigarette anstecken sollte. Tabak und Papier hatte er dabei. Aber Feuer? Hatte er die Zünder am Tisch liegen lassen? Als er noch am Überlegen war, hörte er hinter sich das Knacken eines Astes, so als wenn jemand drauf gestiegen wäre. „Gregor“ flüsterte er. Nichts regte sich. Noch einmal lauter flüsterte er: „Gregor?“ – „Tut ma leid, muss dich leider enttäuschen.“ Die unsympathische Stimme, der grauenhafte Wiener Dialekt, das konnte nur…. Schon trat er in seiner SA-Uniform aus dem Dickicht, in der Hand einen Revolver in der anderen ein grelles blendendes Licht. „Wen hamma denn da? Wenn das nicht unser Bauerntrottel ist, der sich in Dinge einmischt, die eam nix angehen. Und was hamma da? Eine Flinte? Geh ma wildern?“ – „Was willst du?“ fragte Bertl fast tonlos. – „Was ich will? Ich vertrete das Gesetz und den Willen unseres geliebten Führers, was in unsarem schönen deutschen Land zum Glück das selbe ist. Die Frage ist also eher was willst du? Mitten in der Nacht mit aner Krachen herumschleichen und immer schön auf Wegen gehen, wo uns kaner siecht. Wildern willst, net wahr? Das Vieh, das was dem deutschen Volk gehört, willst für dich und a poar Judenmäuler erjagen, oder? Na Moment, du hast doch Gregor geflüstert. Gregor? Heißt so nicht dein geliebter Schwager, die rote Sau. Wann ma den erwischen werd ma’s lustig ham, da wor der Michel nur ein Anfang. Und dank dir, darwisch man heit.“ Unwillkürlich packte Bertl die Flinte fester, aber als ob er es gesehen hätte, hob der Wiener den Revolver und sagte: „Fallenlassen, aber dalli!“ Bertl ließ die Flinte los. Und er sah wie hinter dem Wiener, die vier SA-Buben hervortraten. „Jetzt wird aufgeräumt mit eichra roten Bruat!“ schrie er und die Jungen bewegten sich drohend auf ihn zu. Plötzlich ein Pfiff, der Wiener und die SA-Buben fuhren herum, sie brauchten nicht lange, aber lange genug, dass Bertl die Flinte hochreißen konnte und einen Schuss abgeben. Er war kein guter Schütze aber er traf den Wiener ins Bein, so dass dieser zu Boden ging. „Hilfe die rote Sau hat mich angeschossen!“ Aber wie durch ein Wunder standen die vier Buben da und wagten nichts zu tun, bevor sich der erste fassen konnte, schrie Bertl todesmutig: „Schleichts eich!“ und die vier wichen zurück und rissen aus, der Wiener am Boden schrie ihnen nach: „Gsindel, es gherts aufghängt als Deserteure.“ Und dann zu Bertl: „Des zohl i da ham, du roter Hund, i bring die persönlich nach Wien und reiss da die Eier aus.“ – „Die Gelegenheit kriagst nimma!“ sagte jetzt plötzlich eine Stimme aus dem Dunklen, Gregor trat heraus. „Kumm Bertl ziags duach und daun hau ma o.“ – „I schiaß auf kan Wauffenlousen.“ sagte Bertl, der mit der Flinte noch immer auf den Wiener zielte. – „Im Namen des Führers bring i eich zwa um, und vurher loss i eich eichre Eier fressen!“ Gregor sagte: „Wüsst des Oaschlouch wiaklich leim loussn?“ – „Ea hot koa Wauffen net!“ Da nahm Gregor den am Boden liegenden Revolver und warf ihm dem Wiener hin, dieser griff danach um auf Bertl zu zielen und Bertl drückte ab. Kopfschuss, der Wiener war sofort tot. Bertl trat zurück: „I hob no nia an daschoussen.“ sagte er. Gregor flüsterte: „Es is scheißlich, ouba ma gweihnt sie draun. Denk draun, geihst neit mit uns, wiast Leit daschiaßen miaßen, de kan wos tau hom.“ Bertl dachte an den Stellungsbefehl und nickte, er wusste Gregor hatte recht, dann zogen sie sich in die Wälder zurück, auf den Weg zu den Partisanen. Bertl steckte sich eine Zigarette an, der Tabak schmeckte scheußlich seit die Nazis da waren, nicht der einzige, aber wohl auch ein Grund warum er zu den Partisanen wollte.